Über die Produktion
Assoziativ an Mythen und Märchen in der Erzähltradition der Brüder Grimm erinnernd, lassen das Akrobatenduo Overhead Project und die Choreografin Reut Shemesh in „The boy who cries wolf“ mit einer präzisen Körpersprache und feinem Humor atmosphärisch dichte Szenen entstehen: eine archaische Bilderwelt, bevölkert von Riesen und Zwergen, Dämonen, Wölfen und Hirschen, überführt in eine zeitgenössische Ästhetik.
Zwei Jungen verloren in einem dichten, verworrenen Wald. Zwei Gestalten in Ruinen, sich wandelnden Landschaften, in starren Ahnenportraits, zwei Männer? Der eine schwer, niedergedrückt – der andere leicht, flink, ein flüchtiger Irrwisch. Sie wandern durch flirrende Wüsten in kalte Gebirge, wandern aufeinander, schmelzen ineinander, einander umschlingend und ineinander verfangen. Eine Geschichte über Brüder, einen Mann und seine Dämonen und über empfundene Schuld. Ihre Unausweichlichkeit, ihre Schwere und ihre Spiele. Formal gehalten wie ein altes Volksmärchen beschreibt die Erzählung einen fortwährenden Kreis der Transformation und ein fortwährender Zyklus bestimmt die Choreografie. Jede Bewegung, jede Form verweist auf vorangegangenes ebenso wie auf folgendes, jedes Detail findet sich verwandelt wieder. Die Reise der beiden Männer im Mondschein entfaltet sich wie ein vielfarbiger, psychedelischer Traum. In imaginären Landschaften begegnen sie fantastischen Kreaturen, einander und sich selbst – immer auf der feinen Linie zwischen Komik und Tragik balancierend.
Das Märchen ältester Herkunft spricht vom Schicksal des einzelnen Menschen. Märchen sind Seelenwege in Bildern. Mit kindlicher Naivität und Einfachheit erfasst es die ursprüngliche Einfalt des Herzens. Lückenlos reiht sich in ihnen Bild an Bild. Jeder Satz ist ein Bild. Afanasev – der russische Grimm – nennt das Urmärchen Erzählungen vom Übersinnlichen. Sie stammen aus einer Zeit, in der der Mensch in einer inneren Bildschau lebte und diese Bilder formte in der Bildsprache. Das Volk hat es sich nicht ausgedacht, es erzählte von dem, woran es glaubte. – Friedel Lenz im Vorwort zur Sammlung russischer Märchen von A.N. Afanasjev
Dieses Stück ist all den Erwachsenen um uns herum gewidmet, die ihr verängstigtes inneres Kind noch mit sich tragen. Ungeheuer flüstern ihnen drohend ins Ohr, doch wider alle Einflüsterungen versuchen sie sich selbst zu trauen. – Reut Shemesh
Wir möchten einen Bezug zur Kindheit herstellen, einer Phase des aktiven Beobachtens, einer Zeit, in der die Welt gut war, in der alles um uns herum einfach geschah. – Tim Behren